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In der Wüste neue Kraft gewinnen

„Aber – den wollen Sie doch nicht wirklich mit auf Ihr Zimmer nehmen!“ So bekam die freundliche Stimme des Ordensbruders, der mich gerade dorthin geleitet hatte, auf einmal eine gewisse Schärfe, als er die Tasche mit dem Laptop sah. Ich fühlte mich ertappt. In der Tat: Was macht es für einen Sinn, solch ein Gerät mitzunehmen, wenn ich doch hier im Kloster für ein paar stille Tage einkehren wollte? „Natürlich, entschuldigen Sie bitte, das ist wohl die Macht der Gewohnheit,“ hörte ich mich sagen.

Ein paar stille Tage: Ein guter Freund hatte mir dazu geraten. Einfach mal wieder loslassen. Diese ständigen Impulse von außen und die permanente Erreichbarkeit hinterließen ihre Spuren. Und so entstand nach und nach eine innere Leere. Wozu mache ich das alles? Wer bin ich eigentlich selbst – mitten in dieser Betriebsamkeit? Lange hatte ich diese Fragen gut zugedeckt. Mein Freund wirkte irgendwie entspannter. Er erzählte von ganz neuen Blickwinkeln auf sein Leben. Er hatte das Kloster auch einmal ausprobiert.

„Schon gut“, sagt der Bruder. „Es geht nicht nur Ihnen so.“ Freundlich nannte er noch einmal die Gebets und Essenszeiten und verschwand. Allein stand ich nun in meinem kleinen Zimmer für die nächsten Tage. Eine wirklich karge Zelle. Gerade einmal mit dem Allernötigsten eingerichtet. Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Stuhl, ein kleiner Tisch, ein Kreuz, ein Bücherregal mit Bibel und Meditationsbuch. Und mittendrin ich mit meinen Gedanken, ohne alles, was ablenkt. Ich hatte es selbst so gewollt. Aber jetzt war es mir doch ein wenig unheimlich.

In die Wüste gehen. Heraus aus dem bequemen und abgesicherten Leben. Nicht immer war diese Welt so laut und voller Reize wie heute. Aber immer wieder hat es Menschen gegeben, die dieses zivilisierte Leben verließen und sich bewußt diesem Ort der Leere und der Kargheit aussetzten, für kürzere oder für längere Zeit.

Auch Jesus hat es getan. Damit steht er in einer langen Tradition des Volkes Israels und der Geschichte des christlichen Glaubens. Die Wüste – der Ort zwischen dem reichen Ägypten mit seinen sprichwörtlich vollen Fleischtöpfen und Früchten, die auch noch an die Sklaven abfielen, und dem neuen Land, das noch nicht zu sehen war. Der Ort, an dem Israel zum Volk wurde – im Aushalten und auch im Widerstand. Der Ort, an dem später die Propheten die Erneuerung suchten, wenn Israel sich zu sehr in der Zivilisation eingerichtet und Gott vergessen hatte. Der Ort, an dem sich auch Johannes der Täufer zurückgezogen hatte und dann durch eine herausragende Predigt die Menschen in ihrer Sehnsucht nach Erneuerung zu sich zog. Und auch Jesus kam ihm. Er stellte sich mitten in die Menge und war einer von ihnen. Aber es passierte etwas Besonderes: Jesus ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und eine Stimme aus dem Himmel war zu hören: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Bevor Jesus dann seinen besonderen Auftrag annimmt, wird er in die Wüste geführt und vom Teufel versucht.

Ich stehe im kargen Zimmer. Ein Kleiderschrank, ein Stuhl, ein Tisch, ein Bett und ein Kreuz. Das Kreuz weist auf den Weg Jesu hin. Das Wenige löst Gedanken aus. Was macht mich satt? Auf wen oder was kann ich mich wirklich verlassen? Wer begleitet mich in guten und in bösen Tagen? Worauf verlasse ich mich im Leben? Und was trägt mich – auch und gerade in meiner Angst? Ich denke darüber nach, was bisher ganz selbstverständlich zu meinem Leben gehörte.

Die Glocke des Klosters läutet. Ich mache mich auf den Weg zum Abendgebet. In der Kirche setze ich mich in die letzte Reihe und beobachte erst einmal alles. Ein einfaches Essen soll es danach geben. Und dann wieder Stille. Morgen ein erstes Gespräch. Vorne im Altar steht ein großes Bild von dem auferstandenen Christus. Und darunter steht: „Siehe, ich bin bei euch.“ Und ich spüre: Ich bin nicht allein.

ThDr. Frank Mertin,
Pastor der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Luxemburg
(Entsandter der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD))